Der Platz Am Hof im ersten Wiener Gemeindebezirk ist ein Ort des Wandels. Im Mittelalter entstanden, diente der Platz im Laufe der Jahrhunderte unter anderem als Residenz der Babenberger und des Bürgermeisters oder auch als Marktplatz und Hinrichtungsstätte.
Aufzeichnungen berichten von Waffengewerben im 14.Jahrhundert, später dann von Wein- und Kleidungsverkauf. Im 15. Und 16. Jahrhundert diente der Hof als Richtplatz: 1595 wurde hier Ferdinand Graf von Hardegg hingerichtet – ihm wurde vorgeworfen, den Türken die Festung Raab zu schnell übergeben zu haben. Ab dem 17. Jahrhundert wurde der Platz zum Austragungsort verschiedener Volksfeste. Auch heutzutage wird hier zur Weihnachtszeit der Christkindlmarkt abgehalten.[1]
An die Geschichte dieses Platzes erinnern nur noch diverse Gedenktafeln, welche einige der Gebäudewände verzieren: das alte Kriegsministerium am südöstlichen Eck des Platzes ist heute einem Luxushotel gewichen; das 1564 erbaute bürgerliche „Zeughaus“ am nördlichen Platzende – in dem, für den Fall einer Stadtbelagerung, einst Waffenvorräte, Rossmühlen und Geräte zur Pecherstellung gelagert wurden – dient heute als Feuerwehrhaus. Trotz dieser Veränderungen und modernen Umfunktionierungen, fühlt man sich beim Bummeln Am Hof wie auf einer Reise in die Vergangenheit.
Gestört wird diese Illusion nur von dem am südöstlichen Eck des Platzes stehenden Bürogebäudes der Verbund AG. 1954 im üblichen Nachkriegsstil erbaut, passt das Bürogebäude zu den restlichen Gebäuden wie die Faust aufs Auge.[2] Anders als bei den historischen Bauten des Platzes, wurde beim Bau des Bürogebäudes auf Prunk und Schnörkel verzichtet. Mit seinem rein funktionellen Stil und großen Fenstern, setzt das Gebäude eher auf Effizienz und Praktikabilität: die neuen Schwerpunkte der heutigen Generationen; die Verkörperung der Moderne.
Arbeit im Wandel – was kommt als nächstes?
Ein perfekter Austragungsort also, für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den Themen Zukunft und Wandel, dachten sich vermutlich die OrganisatorInnen der am 1. Juni am Dachboden des Verbund Bürogebäudes stattgefundenen Podiumsdiskussion mit dem Titel „der Arbeitsmarkt von morgen“. Es folgte eine äußerst friedliche Veranstaltung ohne besondere Meinungsverschiedenheiten zwischen den DiskutantInnen. Es schienen sich in Bezug auf die Robotisierung und Digitalisierung des Arbeitsmarkts alle einig zu sein: die Entwicklung ist unaufhaltbar – es bringt also nichts sie zu bekämpfen. Stattdessen müssen wir die jetzige Lage als Realität begreifen und uns ihr anpassen.
Was diese Anpassung genau bedeutet, wurde von den DiskutantInnen in einer Mischung aus modernen Businessenglisch und trendigen Schlagwörtern erklärt: ArbeitnehmerInnen müssen heutzutage mehr auf ihre Employability achten; ArbeitgeberInnen suchen nach Design-Thinkers, nach MitarbeiterInnen mit Slash-CVs (heterogene Lebenserfahrungen, Doppelstudien, Auslandserfahrungen, etc.); sie legen Wert auf Diversität, auf Leadership, soziale Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit, auf gute Noten und Mindeststudiendauer sowieso.
Die Menschen, die diese Kriterien erfüllen, sind äußerst gefragt. Es findet ein War for Talents statt – ein Kampf um Qualifizierte. Um diese anzulocken, müssen ArbeitgeberInnen viel mehr bieten als früher: die neue Generation der Angestellten legen Wert auf intellektuelle Herausforderung, auf Selbstverwirklichung, möchten ins Bigger Picture des Unternehmens eingebunden werden und legen Wert auf eine hohe Work-Life Balance. Wenn das nicht gewehrleistet ist, dann sind die Talents, laut Podiumsteilnehmerin Carmencita Nader (Erste Group) „ganz schnell weg“.
Das alte Beschäftigungsmodel des Jobs fürs Leben sei also längst passé. Künftig werden Angestellte im Schnitt alle 3-4 Jahre Job wechseln, spekuliert Ali Mahlodji (Gründer von whatchado.com). Ähnlich lang ist wahrscheinlich die Lebensdauer von neuen Unternehmen, allen voran die von Startups. „Keiner hat auf uns gewartet, und keiner wird uns missen, wenn wir wieder weg sind“, beschreibt Mahlodji sein 250-MitarbeiterInnen-großes Startup, das sich als modernes Berufsorientierungsportal versteht. Um in einer dynamischen Wirtschaft überleben zu können, müsse man schlicht und ergreifend schneller lernen als alle anderen, sagt er. Da helfen rigide Strukturen mit traditionellen Hierarchien nicht. Deshalb setzten Unternehmen heutzutage vermehrt auf unkonventionelle Ansätze, wie etwa eine Verflachung der Hierarchien. Künftig sollen MitarbeiterInnen gemeinsam mit Vorgesetzten um einen Tisch sitzen. Alle sollen sich einbringen und Ideen beisteuern. Es geht um thinking-outside-the-box.
Co-working Spaces entstehen auch in Wien. Klassische Büros gibt es in der Startup-Szene eher selten.
Alle am Podium wirken optimistisch – die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Anforderungen um einen Job zu bekommen sind zwar hoch und permanent im Wandel, heißt es, aber mit harter Arbeit, Training und dem laufenden Ausbau persönlicher Fähigkeiten, sei alles möglich. Hier setzt Mahlodji nochmal an: „in einer unsicheren Welt, kann man sich nur auf sich selbst verlassen. Wenn ihr in 10 Jahren nicht dort seid, wo ihr sein wolltet, seid ihr selber schuld.“
Mit diesem eher fragwürdigen Rat, der es verabsäumt auch nur im Geringsten auf die Rolle sozioökonomischer und institutioneller Rahmenbedingungen für den persönlichen beruflichen Werdegang einzugehen, endet die Podiumsdiskussion.
Nur, wo bleibt das Bigger Picture? Was heißt diese Entwicklung für die Gesellschaft in der wir leben? Wie kann man den negativen Auswirkungen dieses Wandels entgegenwirken? Was machen wir gegen die Angst vor der Arbeitslosigkeit? 7.1 Millionen Arbeitsplätze sollen in den kommenden 5 Jahren in den 15 größten Industriestaaten durch Digitalisierung verloren gehen. Gleichzeitig sollen im gleichen Zeitraum nur 2 Millionen neue Jobs entstehen, schätzt die Weltwirtschaftsforum. [3] Die dadurch erwartete Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zwar nicht besonders groß, sorgt aber bereits jetzt für große Beunruhigung. Richtig spürbar soll die Automatisierung in 10-20 Jahren werden. Schätzungen zu Folge, sollen bis 2035 42-47% aller bestehenden Arbeitsplätze in Deutschland und den USA durch Maschinen ersetzt werden.[4]
Was passiert mit allen, die künftig ihren Job an Roboter verlieren? Wer konsumiert noch, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und das Lohnniveau fällt? Was werden die Auswirkungen auf Ungleichheit, soziale Spannungen und dem wachsenden Rechtsruck sein? Was bedeuten die neuen Anforderungsprofile etwa die erwartete zeitliche Flexibilität, seitens Unternehmen für die Beschäftigung von Menschen mit Familien und Kindern? Und was bedeutet das alles für das Sozialsystem?
Der erste selbstfahrende LKW wurde 2015 in der USA zugelassen. In 29 Staaten der USA, ist LKW-Fahren der häufigste Beruf.
Auf die Frage, wie und ob Unternehmen in Hinblick auf die erwähnte Kehrseite des technischen Wandels gesellschaftliche und soziale Verantwortung übernehmen sollen, können die Podiumsgäste keine überzeugende Antwort liefern. Ein Podiumsmitglied argumentiert, dass Unternehmen bereits durch die Schaffung von Arbeitsplätzen soziale Verantwortung zeigen. Alles andere sei doch Aufgabe des Staates.
Die Realität ist jedoch schon weiter. Eine Studie der AK hat ergeben, dass 70% der Befragten in ihrer Freizeit, und 60% im Krankenstand erreichbar sind. ExpertInnen warnen vor den Folgen des Immer-Erreichbar-Seins. Auswirkungen seien vor allem gesundheitliche psychische Schäden – Depressionen und Burnouts.[5] In Frankreich wird soeben über die Einführung eines Gesetzes verhandelt, das ArbeitnehmerInnen erlauben soll, in ihrer Freizeit nicht erreichbar zu sein. Damit soll der permanenten Belastung, auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeit, entgegengewirkt werden. Die Bankengruppe BPCE hat, nachdem sie von ihren MitarbeiterInnen geklagt wurde, bereits jetzt Offline-Maßnahmen gesetzt: von 21:00 bis 07:00 wird der Zugang zu Email Konten der Belegschaft gekappt. In Deutschland haben Daimler und Volkswagen ähnliche Vorkehrungen zur Arbeitslastreduzierung außerhalb der offiziellen Arbeitszeit getroffen.[6]
Ein weiteres populäres Thema ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) – eine radikale Idee, die bis vor kurzem als sozialromatische, anreizzerstörende Utopie abgestempelt wurde. Die Idee ist einfach: unter einem BGE hat jede Person, egal ob sie arbeitet oder nicht, Anspruch auf ein festes Mindesteinkommen vom Staat das „fürs Leben reicht“ – also, ein Einkommen welches ausreicht um Grundbedürfnisse zu befriedigen.[7] Es geht also um eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Mittlerweile hat sich sogar das konservative Weltwirtschaftsforum für die Einführung eines BGE ausgesprochen. Auch in Silicon Valley, dem Epizentrum des technischen Fortschritts, ist die Idee weit verbreitet. Eigentlich nicht überraschend, denn wenn alle ein BGE beziehen, wirken die prekären Arbeitsverhältnisse der in Silicon Valley vorherrschenden Gig Economy weniger erschreckend. Als Uber-Fahrer tätig sein könnte für BGE BezieherInnen einfach ein Hobby sein, welches ab und zu ein zusätzliches Einkommen generiert.[8] KritikerInnen meinen jedoch, dass die Einführung eines BGE das Stigma der Arbeitslosigkeit nicht lösen und den Menschen die Angst, dass ihr Job irgendwann von einer Maschine ersetzt wird, nicht nehmen wird.[9]
Gelber Nebel vorm Verbund Gebäude – Schlechtes Omen?
Beim Verlassen des Gebäudes nach der Veranstaltung, kroch ein gruseliger, dichter, gelber Nebel die gesamte Gebäudewand empor. Ein schlechtes Omen? Eines steht fest: es werden in den nächsten Jahren viele Herausforderungen auf uns zukommen. Diese müssen bereits jetzt von uns allen, von der Politik, von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen gemeinsam in Angriff genommen werden. Ansonsten erleben wir eine Neuauflage der Arbeitslosen von Marienthal – nur weitaus größer
[1] https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Am_Hof
[2] Ursprünglich wurde die Redewendung dazu benutzt um auszudrücken, dass zwei Sachen gut zu einander passen. Heutzutage kann die Redewendung auch das Gegenteil zum Ausdruck zu bringen. In diesem Text, nehme ich die Redewendung in ihrer ursprünglichen Bedeutung in Gebrauch.
[3] http://diepresse.com/home/wirtschaft/international/4906168/Digitalisierung_Industrielaender-verlieren-funf-Millionen-Jobs-
[4] http://oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf
[5] http://derstandard.at/2000035111179/Immer-erreichbar-macht-psychisch-krank
[6] http://welt.de/wirtschaft/article152353136/Frankreichs-Kampf-gegen-die-Mail-nach-Feierabend.html
[7] http://sueddeutsche.de/wirtschaft/verlust-von-arbeitsplaetzen-durch-digitalisierung-ausgerechnet-davos-diskutiert-nun-ueber-das-grundeinkommen-1.2829834
[8] http://theguardian.com/commentisfree/2016/feb/28/silicon-valley-basic-income
[9] http://www.research.handelsblatt.com/assets/uploads/files/chefoekonom/Newsletter%20PDFs/br_Grundeinkommen1.pdf
Therese Guttmann ist Teilnehmerin des 8. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.