50 Punkte Abzug für die Bestechung eines Beamten, weiter 50 für das Fahren bei Rot, und ganze 100 Punkte Abzug für falsche Anschuldigungen im Netz – so hätte die Liste der persönlichen Verfehlungen aussehen können, die in den chinesischen Behörden in Suining, einer Stadt im Osten Chinas, 2010 auflag.
Damals versuchte sich die Stadt in einem Experiment, das im Bankengeschäft schon lange gang und gäbe ist, nämlich die automatisierte Bewertung der Kreditwürdigkeit einer Person anhand von diversen Merkmalen, um einen Kreditausfall zu vermeiden. Nur das in Suining nicht nur die finanzielle Kreditwürdigkeit, sondern auch soziales und politisches Verhalten bewertet und kategorisiert wurde. Je tiefer der Score unter den maximalen 1000 Punkten lag, desto schwieriger wurde es Unterstützung von Behörden bei Unternehmensgründung oder der Schulwahl zu erhalten oder auch nur ein Zugticket zu kaufen. Das Projekt scheiterte schließlich an den Schwächen des Systems und dem Widerstand der BürgerInnen.
“People should have rated government employees and instead the government has [rated] the people.”
Digitaler Totalitarismus oder Schutz vor Misswirtschaft?
Aber damit ist es nicht getan. Suining ist Teil einer größeren Idee, die die chinesische Regierung verfolgt: Bis 2020 soll Big Data dabei helfen ein landesweites Bewertungssystem von BürgerInnenverhalten aufzubauen. Das „social credit system“ soll dabei helfen, Korruption und Betrug einzudämmen und das Vertrauen in die chinesischen Institutionen wiederherzustellen. Ob UnternehmerIn oder BeamtIn, die Produktion von Falschware oder Annahme von Schmiergeldern würden sich neben rechtlichen Konsequenzen auf den social credit auswirken. Was nun ein niedriger Punktestand ausmacht, ist noch nicht ganz klar, eher konzentriert man sich auf das Belohnungssystem. Je mehr Punkte, desto besser. In Suining wurden die Fleißigsten mit schnellerem Zugang zu Sozialwohnungen oder Beförderung im Beruf belohnt.
Aktuelle Pilotprojekte zu Social Crediting gibt es in über 30 chinesischen Städten, teils von Behörden teils von Unternehmen durchgeführt. Sesame Credit bespielsweise ist ein Projekt der Ant Financial Services Group, Tochtergesellschaft des chinesischen Internetriesen Alibaba, das neben Kreditwürdigkeit auch politische Äußerungen in sozialen Medien, verbrachte Zeit mit Online-Spielen, Komsumverhalten usw. bündelt und an politische Träger weitergibt. Erwähnenswert hierbei auch, dass für die zunehmende Verwendung von Alipay als Zahlungsmethode der Kreditstand steigt.
Dies nimmt auch Shazeda Ahmed von der UC Berkely zum Anlass um die durchwegs negative westliche Berichterstattung zum chinesischen Experiment zu entkräften.
„This reinforces my own hunch that the story […] of “social credit as Big Brother” is actually one of social credit being about spurring consumerism in a country where people have historically saved more than they’ve spent. In a way this is a banal point about how social credit encourages capitalism in China, because of course this is the point of credit scoring.”
Also doch kein Big Brother sondern nur Ankurbelung des Binnenkonsums?
Die Befürchtung, das Individuum würde sein Leben nur mehr danach ausrichten, seinen Score zu erhöhen, sei daher viel zu überzogen. Jedoch nicht außer Acht lassen dürfe man trotzdem, „wie Bonus – Malus Mechanismen die an die Kreditwürdigkeit und persönliches Verhalten (online und offline) andocken, sich entwickeln und auf die Menschen auswirken“.
Die Risiken
Nach wie vor relevant bleiben die Datenqualität und die fehlenden Standards bei der Datenanalyse, die noch zu viele falsch-positive Ergebnisse erzeugen, um überhaupt konsistent verwertbare Aussagen treffen zu können. Zum anderen ergibt sich bei einer derartigen Zentralisierung wichtiger BürgerInneninformation die Frage der Datensicherung.
Erst im Jänner 2017 gingen zwei Journalisten der Southern Metropolis Daily mit Ergebnissen einer investigativen Recherche an die Öffentlichkeit, der nach es mit geringem Aufwand relativ leicht sei an Daten zu gelangen. Um die 700 Yuan oder 100€ kostet ein fertiges Excel – Profil basierend auf der ID-Nummer eines bereitwilligen Arbeitskollegen. Dieses Profil beinhaltet von Hotelrechnungen über Immobilienbesitze und derzeitigen Wohnort bis zum aktuellen GPS – Standort alles.
Solche Tracking Dienste werden über Tencent’s, WeChat, Taobao oder Weibo angeboten und bieten von unzuverlässiger Falschinformation bis zu durchaus sensiblen Daten aus Administration, Banken und Mobilbetreiber alles gegen eine simple ID-Nummer.
Geht es nach der Konsumtheorie von Shazeda Ahmed besteht eine weitere Gefahr in der zyklischen Akkumulation – ohne social credit gibt es keine Möglichkeit social credits anzuhäufen.
Nicht auszuschließen ist in so einem Fall das Entstehen von Fake Accounts mit bereits gefülltem social credits – Stand.
ZWÜ: Die Zukunft
Wie auch immer das „social credit System“ der Zukunft arten mag, die Gratwanderung zwischen positiven Incentives und massiven Eingriffen in die Privatsphäre bzw. Datenmissbrauch ist schmal. Bis jedoch die gesamte chinesische Bevölkerung systematisch erfasst und geratet werden kann, ist es noch ein weiter Weg.
Quellen:
http://chinadigitaltimes.net/2017/02/qa-shazeda-ahmed-on-chinas-social-credit-system/
Weiterführend:
Der Regierungsplan 2014 zum Social Credit System ins Englische übersetzt.
Isabel Pham ist Teilnehmerin des 9. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.