Arbeitslosigkeit: Zwischen Exklusion und Fatalismus

Meist erfolgt die Betrachtung des Themas Arbeitslosigkeit aus einem volkswirtschaftlichen Blickwinkel bzw. thematisiert sie die individuelle ökonomische Betroffenheit einzelner Individuen. Durch die Marienthal-Studie sind psychologische Folgen bekannt. Hier erfolgt der Versuch soziale und politische Folgen von Arbeitslosigkeit zu skizzieren und damit weitere Antworten für die auch letztens wieder aufgeworfene Frage zu bringen, was denn eigentlich so schlecht ist an (Jugend-)Arbeitslosigkeit.

Die europäischen Gesellschaften zeichnen sich durch hohe Arbeitsorientierung aus. Lohnarbeit bringt Sozialprestige und liefert Zugehörigkeit, Struktur und Identität. Im Umkehrschluss hat Arbeitslosigkeit eine desozialisierende Wirkung: Betroffene verlieren soziale Kontakte, vereinzeln tendenziell eher, leiden unter sozialer Stigmatisierung und (auch aus finanziellen Gründen) sinkt ihre kulturelle Partizipation. Gegensteuernde Faktoren sind die Integration in soziale Netzwerke (z.B. Vereine) und ein ausgebauter Wohlfahrtsstaat. Abhängig von vorhandenen psychischen Dispositionen verstärkt Arbeitslosigkeit die Neigung zu Kriminalität, Depression und Suchtverhalten.

Von alldem besonders betroffen sind Langzeitarbeitslose (12 Monate mit höchstens kürzeren Unterbrechungen). Von den 11 Prozent Arbeitslosen in der EU gehören etwa 44 Prozent zu dieser hochbelasteten Gruppe. Die sozialen und gesundheitlichen Risiken steigen mit der Dauer der Arbeitslosigkeit, während der Verlust von Qualifikationen, verstärktes Misstrauen von Seiten der ArbeitgeberInnen gegenüber Lebensläufen mit längeren Perioden der Beschäftigungslosigkeit, und eine zunehmende Resignation der Arbeitssuchenden diesen Zustand verfestigen. Soziale Gegebenheiten reproduzieren sich dabei: Angehörige niedrigerer sozialer Schichten leiden besonders unter den exkludierenden Wirkungen von Arbeitslosigkeit, während gleichzeitig die Möglichkeit zu sozialem Aufstieg durch Lohnarbeit entfällt.

Jugendliche sind auf zweierlei Weise Hauptbetroffene: Einerseits liegt die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in der EU mit 24 Prozent signifikant höher (in Spanien bei 62 Prozent!), andererseits trifft sie das Problem in einer wichtigen Phase der Persönlichkeitsentwicklung, in der Selbstwert und Identität aus der Arbeit bezogen werden. Südeuropäische Jugendliche profitieren von einer stärkeren familiären Einbettung und leiden seltener unter sozialer Isolation, gleichzeitig schafft dies aber Abhängigkeit und erschwert den Prozess des Selbstständigwerdens.

Ob Arbeitslose verstärkt zu politischem Radikalismus neigen, ist in der Wissenschaft umstritten. Generell gilt eher, dass Arbeitslose zu politischer Apathie neigen. „Arbeitslosigkeit führt zur Resignation, nicht zur Revolution“, konstatierte bereits Marie Jahoda. Auf jeden Fall erfährt bei hoher Arbeitslosigkeit das politische System einen Legitimationsverlust und das Vertrauen Betroffener in das System sinkt.
Neben Apathie ist bei Arbeitslosen oft eine individuelle Schuldzuschreibung für ihre Situation verbreitet. Die fehlende gemeinsame Problemwahrnehmung, eine hohe Fluktuation in der Gruppe der Betroffenen und die fehlende Selbstidentifikation mit der ungewollten Rolle als ArbeitsloseR verhindern eine adäquate Organisation ihrer Interessen, die von Organisationen wie den Gewerkschaften meist nicht wahrgenommen werden (so erlischt in manchen europäischen Ländern die Gewerkschaftsmitgliedschaft bei Jobverlust).

Ob die Proteste der Indignados in Spanien, die Riots im Vereinigten Königreich und die Aufstände in Athen eine veränderte politische Rolle der arbeitslosen Mitglieder der Generation Y zeigen, bleibt abzuwarten. Zuletzt ein frommer Wunsch: Möge die längerfristige Perspektive höherer Arbeitslosenzahlen und vermehrte individuelle Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit in unserer halbwegs postmateriellen Gesellschaft dazu führen, dass Lohnarbeit nicht mehr der höchste Wert bleibt, persönliche Biographien nicht mehr als Erwerbsbiographien geschrieben werden, und somit soziale Exklusion, politische Apathie und Fatalismus unterbleiben.

Georg Garstenauer
ist Teilnehmer des 6. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie 2013/14.


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