Sarah hat vor wenigen Wochen ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Um Erfahrungen zu sammeln und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hat sie eine Praktikumsstelle angenommen. Es ist nicht ihr erstes Praktikum – schon während ihres Studiums absolvierte Sarah ein Pflichtpraktikum und ein weiteres freiwilliges Praktikum. Für eine Anstellung hat es bisher trotzdem nicht gereicht.
So wie Sarah geht es sehr vielen Jungakademiker_jnnen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Hochrechnungen zufolge absolvieren etwa 15,1 % aller Personen nach Abschluss ihres Studiums mindestens ein Praktikum (Graduiertenpraktikum) (1). Ein Blick auf das Geschlechterverhältnis zeigt, dass Frauen weitaus häufiger ein solches Graduiertenpraktikum absolvieren als Männer: Schätzungsweise 18,6 % der Absolventinnen sind nach ihrem Abschluss in Form eines Praktikums tätig, während der entsprechende Anteil in der Gruppe der männlichen Universitätsabsolventen bei 10,6 % liegt. Dem Forschungsbericht zufolge erstreckten sich die Graduiertenpraktika der untersuchten Stichprobe im Schnitt über einen Zeitraum von acht Monaten. Bei mehr als der Hälfte der in dem Bericht erhobenen Praktikumsstellen wurde entweder gar kein Gehalt ausgezahlt oder eine Entlohnung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze (1).
Graduiertenpraktika sind nicht überall gleich stark vertreten: Insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich, im Non-Profit Sektor sowie in der Kultur- und Medienbranche sind Trends in Richtung schlecht bezahlter oder gänzlich unvergüteter Praktika feststellbar (1). Beispielsweise sind Psycholog_innen in ihrer postgraduellen Ausbildung zu Klinischen Psycholog_innen zu einem umfassenden Praktikumsnachweis in Höhe von 2.098 Stunden – also knapp 53 Wochen Vollzeitbeschäftigung (ohne Urlaub oder Krankenstand) – verpflichtet (2). Das entsprechende Gehalt für diese Ausbildungsstellen lag in den vergangenen Jahren in der Regel bei einem Taschengeld von ein paar Hundert Euro für eine Vollzeitbeschäftigung. Es bleibt abzuwarten, ob sich die im vergangenen Jahr durchgeführte Gesetzesänderung (wonach die praktische Ausbildung von nun an in Form eines Arbeitsverhältnisses stattfinden muss) auch in der Einführung einer zumindest existenzsichernden Bezahlung niederschlägt.
Die Situation von klinischen Psycholog_innen in Ausbildung steht exemplarisch für viele Bereiche, in denen Graduiertenpraktika an der Tagesordnung stehen. Es scheint so, als sei es immer wieder gängige Praxis, ein günstiges (oder gänzlich unvergütetes) Praktikum anstelle eines Arbeitsverhältnisses zu setzen. Diese Tatsache ist aus mehreren Gründen eine sehr bedenkliche Entwicklung: Einerseits stellt das Graduiertenpraktikum in vielen Fällen eine Form der Ausbeutung von Arbeitskraft dar. Bei Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses bedarf es stets einer Phase der Einschulung – danach sind Jungabsolvent_innen jedoch vollwertige Mitarbeiter_innen, die erheblichen Nutzen für Betriebe oder Institutionen erwirtschaften. Viel zu oft scheint das Argument der „mangelnden Praxiserfahrung“ herangezogen zu werden, um anstelle einer Einschulungsphase ein monatelanges Praktikum zu rechtfertigen. Eine bemerkenswerte Initiative um Missständen bei Praktika aller Art (Ferialpraktika, Graduiertenpraktika, etc.) aufzudecken ist die online Plattform watchlist-Praktikum (3). Hier können Betroffene über ihre Praktikumssituation berichten und sich über mögliche Schritte beraten lassen.
Doch nicht nur die Ausbeutung von Arbeitskraft per se ist als problematisch zu beurteilen: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie die dargestellten Graduiertenpraktika stellen ein erhebliches Hindernis auf dem Weg zu einer Gesellschaft der Chancengerechtigkeit dar: Die Möglichkeit, „gratis“ zu arbeiten, steht nicht jedem offen, sondern ist ein Privileg derer, die sich eine Zeit der erwerbslosen Beschäftigung nach Studienabschluss auch leisten können. Ein besorgniserregendes Beispiel in diesem Zusammenhang ist auch in hochkarätigen Organisationen wie den Vereinten Nationen zu finden: Diese offerieren regelmäßig (oft monatelange) unbezahlte Praktikumsstellen weltweit. Erst vor kurzem machte ein junger Mann auf diese Situation aufmerksam, als er am Genfer See campte, während er ein Praktikum bei den Vereinten Nationen absolvierte (3). Die Absolvierung eines solchen Praktikums, bringt ganz klar einen Vorteil im späteren Berufsleben. Die Karrierechancen werden auf diese Weise indirekt, aber systematisch an finanzielle Voraussetzungen bzw. Startvorteile des Einzelnen / der Einzelnen geknüpft.
Eine bestehende Nachfrage nach einer Arbeitsleistung auf dem Markt über die Ausnutzung von Praktikumsverhältnissen oder anderen atypischen Beschäftigungsverhältnissen zu lösen, kann nicht die Antwort einer modernen Arbeitsmarktpolitik sein. Die Politik ist gefragt, um die Rahmenbedingungen von Arbeit so zu gestalten, dass berufliche Entwicklung und Entfaltung bei gleichzeitiger Sicherung der Existenzgrundlage möglich ist.
(2) https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20008552
(3) http://www.watchlist-praktikum.at/
(4) http://derstandard.at/2000020726549/Praktikant-Tagsueber-bei-der-UNO-Abends-im-Zelt
Julia Fadler ist Teilnehmerin des 8. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.