Wie man eine Diskussion zur Erbschaftssteuer (nicht) führt

In den meisten Diskussionen zu politischen Themen steigt meine Frustration innerhalb kürzester Zeit auf ein Maximum – nicht so sehr, weil ich nicht die Meinung meiner Diskutant_innen teile (was natürlich auch der Fall sein kann), sondern wegen der Art und Weise, wie diskutiert wird. So auch in der aktuellen Diskussion über eine mögliche Erbschaftssteuer, in der es meistens weniger als fünf Minuten dauert, bis das Argument “Mit einer Erbschaftssteuer fehlt der Anreiz, um während des Lebens hart zu arbeiten und Vermögen anzuhäufen“ – angeführt wird. Ich halte dieses Argument aus vielerlei Hinsicht für abstrus.

Erstens kann es nur aufrechterhalten werden, wenn man sich der Annahme, Menschen seien nur durch materielle Anreize gesteuert, voll und ganz hingibt. Dies ist eine äußerst banale, aber doch recht zweifelhafte Annahme. Mit Sicherheit spielen ökonomische Anreize eine große Rolle im Leben eines Menschen, aber das Ausmaß dieser Rolle dürfte erstens doch sehr variieren und zweitens in vielen Fällen nicht die dominierende sein.
Darüber hinaus impliziert eine solche Argumentation ein sehr dynastisches Verständnis vom Leben. Um es etwas makaber zu formulieren: Welchen Anreiz sollte jemand haben, Reichtümer für eine Zeit anzuhäufen, in der man selbst tot ist? Dies macht nur Sinn, wenn Vermögen bewusst mit dem Ziel angehäuft wird, es an die eigenen Kinder oder an andere Personen weiter zu geben, mit denen man in einer Beziehung steht. Eine Erbschaftssteuer nimmt einem schließlich nichts von dem weg, was man selbst im Laufe des Lebens erwirtschaftet, sie betrifft nur jene, die von einer Erbschaft profitieren würden. Entgegen der konventionellen Anschauung der ökonomischen Theorie steht damit nicht das Individuum im Zentrum des wirtschaftlichen Handelns, sondern ein Verband von Personen, die über Verwandtschaft oder andere Beziehungen verbunden sein können. Eine Änderung des Fokus auf unterschiedliche Akteur_innen kann jedoch zu völlig anderen Schlussfolgerungen führen.

Zweitens ist es neben diesen grundlegend theoretischen Überlegungen aus einer kritischen wirtschaftspolitischen Perspektive fraglich, wie sinnvoll eine solche Anhäufung von großem Vermögen über mehrere Generationen ist. Die Überschwemmung des Finanzmarktes mit großen Kapitalmengen war immerhin eine der strukturellen Ursachen für die Finanzkrise 2007/2008, hat doch die gesteigerte Nachfrage nach produktiven Finanzprodukten zur Entwicklung der berühmtberüchtigten Verbriefungen geführt.
Es sind gerade die reicheren Gesellschaftsschichten, die zu dieser Übernachfrage an den Finanzmärkten führten, da sie es sind, die tendenziell mehr investieren, während den ärmeren Gesellschaftsschichten mit einer höheren Konsumquote wenig bis Garnichts für Investitionen übrig bleibt.

Drittens bleibt ein Aspekt in jeder Diskussion über die Erbschaftssteuer sträflich vernachlässigt, nämlich die Frage, was mit den staatlichen Einnahmen passieren würde. Hier bieten sich, je nach politischer und theoretischer Vorliebe, mannigfaltige Möglichkeiten: Sie könnten zu einer substanziellen Umverteilung von oben nach unten genutzt werden. Sie könnten ein hochqualitatives Bildungssystem finanzieren. Sie könnten für Konjunkturmaßnahmen, große Infrastrukturprojekte oder aber auch für eine Förderung von Klein- und Mittelbetrieben verwendet werden. Theoretisch könnten sie durch staatliche Transfers wieder genau jenen zugutekommen, die zuerst für diese Einnahmen aufkommen mussten. Der springende Punkt ist, dass diese Mittel nicht verschwinden, sondern genutzt werden können, um die soziale und wirtschaftliche Lage von allen oder nur einigen Wirtschaftsakteur_innen zu verbessern.

Welche Argumente man in einer Diskussion um die Erbschaftssteuer auch anführt, und egal welchen Theorien und/oder Ideologien man dabei folgt, so sollten die Argumente keinesfalls trivial sein. Es gibt genügend schlagende Gründe für oder gegen eine Erbschaftssteuer verschiedenster Ausgestaltung. Um aber jede Diskussion zu einer von Gehalt zu machen, sollten sich die Diskutant_innen erst der eigenen gesellschaftlichen Position bewusst werden – denn Eigeninteressen sind oftmals der wahre Grund für den einen oder den anderen Standpunkt. Sofern die eigenen Interessen schon nicht überwunden werden können, so sollten sie sich doch zumindest bewusstgemacht werden, um einen Versuch wagen zu können, über die Erbschaftssteuer jenseits des eigenen Privilegs nachzudenken.

Anna Stelzer ist Teilnehmerin des 8. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.


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