Buenos Aires- The Boys Are Back in Town

In den 1970er- und 1980er-Jahren erfuhr eine Gruppe von chilenischen Ökonomen einen hohen Bekanntheitsgrad – ihre Ideen sollten unter dem Diktator Pinochet zur Umsetzung kommen. Genannt wurden sie „Chicago Boys“, da sie größtenteils in der US-Metropole, einer der Hauptstädte des Neoliberalismus, ausgebildet worden waren. Nach und nach zeigte sich, dass ihr radikaler Marktglaube zum Scheitern verurteilt war¹. Doch nicht nur Chile, auch in einigen anderen Ländern trieben die Chicago Boys ihr Unwesen. In Argentinien waren Ableger tätig² und unter anderem für die Krise gegen Ende des letzten Jahrtausends mitverantwortlich. Ausgerechnet im „Land des Silbers“ könnte ihre Ideologie nun wieder Fuß fassen.

Im Jahre 1976 erlangte das Militär in Argentinien – ähnlich wie in Chile – durch einen Putsch die Führung im Staate und schuf eine Diktatur, die vor allem durch ihr hartes Vorgehen gegen die Opposition Schlagzeilen machte. In der Zeit, in der die Generäle des Heeres an der Macht waren, „verschwanden“ nach Schätzungen etwa 30.000³ politische Aktivist_innen wie etwa Gewerkschaftsvertreter_innen  auf Initiative des Regimes. Wie auch die Pinochet-Herrschaft in Chile, war die Hilfe durch US-amerikanische Geheimdienste hier maßgeblich⁴. Doch auch wirtschaftspolitisch agierte die Diktatur nach dem Vorbild Chile. Neben dem Ende der interventionistischen Politik der Vorgängerregierung fand auch eine Deregulierung der Spekulation auf den argentinischen Peso statt, was zu Kapitalflucht führte, die Industrie schädigte und eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Zentralbankpräsident Adolfo Díz, der in Chicago bei Milton Friedman studierte⁵.

Trotz des Endes der Militärdiktatur 1983 wurde weiterhin an neoliberalen Dogmen festgehalten. Bis in die frühen 2000er-Jahre prägten niedrige Löhne und Privatisierungen die Politik der argentinischen Regierungen, die sich weiterhin von Ökonomen der Chicagoer Schule beraten ließen. Im Laufe einer weiteren Wirtschaftskrise nahm die Staatsverschuldung große Ausmaße an, sodass sich die Regierung dazu entschloss, Kredite beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzunehmen. Dieser zwang den Staat dazu, eine streng auf Budgetdisziplin ausgerichtete Politik zu führen, was zu einer Verschärfung sozialer Probleme führte⁶.

Mit der Wahl Néstor Kirchners im Jahre 2003 wurde zwar keine ganz so radikale Wende wie in anderen lateinamerikanischen Ländern vollzogen, jedoch machte sich auch hier der Kurswechsel schnell bemerkbar. Kirchner überzeugte internationale Anleihenhalter_innen zu einem Forderungsverzicht, erreichte eine Restrukturierung der Schulden und damit eine Abkehr von neoliberaler Austeritätspolitik. Diesen Kurs führte Kirchners Frau und Nachfolgerin Cristina Kirchner fort, indem sie Sozialprogramme aufstockte und beispielsweise Teile der Erdölindustrie verstaatlichte.⁷

Unter den Vorzeichen einer seit 2014 andauernden wirtschaftlichen Krise und einiger Korruptionsskandale fanden im November 2015 Präsident_innenschafts- und Parlamentswahlen statt. Dabei gewann die rechtsgerichtete Opposition unter dem Ingenieur und ehemaligen Bürgermeister von Buenos Aires Mauricio Macri. Er warb mit einem Programm, das in vielen Punkten an die gescheiterte­ Politik der 1990er-Jahre erinnert. Mehr Markt und weniger Staat, die Senkung der Staatsschulden und das Anlocken internationaler Investor_innen stehen ganz oben auf seiner Agenda.

Argentinien ist auf damit dem Weg zurück in die Zeiten, in denen man, gestützt durch das Heer, als Exerzierfeld der neoliberalen Chicagoer Schule diente. Dass etwa der neu gewählte Kulturminister die Verbrechen der Militärdiktur von 1976 bis 1983 verharmlost⁸, verwundert in diesem Zusammenhang auch kaum. Beunruhigend ist zudem die drohende Militarisierung der Sicherheitspolitik. Präsident Macri kündigte an, im Kampf gegen Drogenkriminalität den Notstand ausrufen zu wollen⁹. Zu hoffen bleibt, dass dieser Rückwärtsgang nicht auch in weiteren Ländern in der geografischen Umgebung des Landes ansetzt. Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen politischen Umschwung ist aufgrund bestehender wirtschaftlicher Probleme jedenfalls so hoch wie schon lange nicht mehr.

Literatur:

  • (1) Pellar, Brigitte: Geschichte, nicht Schicksal Die Machtübernahme der »Chicago Boys«, in: Arbeit und Wirtschaft

URL: http://www.arbeit-wirtschaft.at/servlet/ContentServer?pagename=X03/Page/Index&n=X03_999_Suche.a&cid=1182166446550

  • (2) Becker, Gary S.: Latin America owes a lot to its Chicago Boys, in: Business Week, 09.06.1997

URL: http://www.bloomberg.com/bw/stories/1997-06-08/latin-america-owes-a-lot-to-its-chicago-boys

  • (3) siehe „Ex-Diktatoren wegen Kindsraubes verurteilt“ in „Süddeutsche Zeitung“

URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/militaerjunta-in-argentinien-argentinische-ex-diktatoren-wegen-kinderraubs-verurteilt-1.1404210

  • (4) Grasse, Benjamin: Mercosur-Datenbank zur Operation Cóndor. in: amerika 21, 27.08.2013

URL: https://amerika21.de/2013/08/85566/mercosur-operation-condor

  • (5) Restivo, Nestór: Murió Milton Friedman, el padre de los „Chicago boys, in: Clarín, 17.11.2006

URL: http://edant.clarin.com/diario/2006/11/17/elmundo/i-02801.htm

  • (6) Stiglitz, Joseph: Lektionen aus Argentinien, in: Der Standard, 13.01.2002

URL: http://derstandard.at/831139/Lektionen-aus-Argentinien—von-Joseph-Stiglitz

  • (7) Fink, Andreas: Argentinien verstaatlicht Ölriesen, in: Die Presse, 17.04.2012

URL: http://diepresse.com/home/wirtschaft/international/750140/Argentinien-verstaatlicht-Olriesen

  • (8) Eglau, Victoria: Kulturminister brüskiert mit Äußerung zur Militärdiktatur, in: Deutschlandfunk, 14.02.2016

URL: http://www.deutschlandfunk.de/argentinien-kulturminister-brueskiert-mit-aeusserung-zur.2016.de.html?dram:article_id=345541

  • (9) Boos, Tobias: Argentinien oder Vorwärts in die Vergangenheit, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jänner 2016, S. 9-12

David Ellmeyer ist Teilnehmer des 8. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.

 


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