Am Ende: Umlageverfahren

Immer, wenn sich die öffentliche Debatte um eine Reform des Pensionssystems dreht, wird – manchmal expliziter, manchmal impliziter – die Grundsatzfrage „Umlageverfahren oder Kapitaldeckung?“ neu aufgerollt. In einem umlagefinanzierten Pensionssystem zahlt die arbeitende Bevölkerung in eine staatliche Pensionskasse ein, eine Art kollektiver Topf aus dem dann der pensionierte Teil der Bevölkerung direkt Leistungen bezieht. Der sogenannte ‚Generationenvertrag’ sorgt dafür, dass die arbeitende Bevölkerung ein Teil ihres erwirtschafteten Einkommens abgibt und damit den Anspruch erwirbt, später einen Teil des erwirtschafteten Einkommens zukünftiger Generationen zu erhalten. In einem kapitalgedeckten Pensionssystem dagegen existiert dieser kollektive Topf nicht. Jede Person ist angehalten Verträge mit privaten Finanzinstituten wie Pensionsinvestmentfonds abzuschließen und Beiträge während ihrer Erwerbszeit einzuzahlen, die veranlagt und in der Pension wieder ausbezahlt werden.

In der politischen Realität Österreichs herrscht keines dieser Systeme in seiner Reinform vor, sondern es besteht, angetrieben vor allem durch die Pensionsreformen der Regierung Schüssel, ein sogenanntes Drei-Säulen-Modell, d.h. ein Mix aus staatlicher, betrieblicher und privater Vorsorge. Das staatliche Umlageverfahren blieb dabei faktisch die tragende Säule¹, während aber neue Anreize gesetzt wurden, um betriebliche und private, also kapitalgedeckte, Vorsorgemodelle in der Bevölkerung zu etablieren. Unter anderem wurde die Abfertigung NEU, die es ermöglicht, die Abfertigung in die betriebliche Pensionskasse zu übertragen, in der Pensionsreform 2003 eingeführt. Außerdem wurde mit der „prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge“ beschlossen, staatliche Prämien bei privaten Vorsorgemodellen zuzuschießen.

Im Zuge der neuesten Pensionsbeschlüsse gab es zumindest von Seiten der Regierung keine Versuche eines neuerlichen Schubs Richtung kapitalgedeckter Vorsorge, jedoch war von verschiedenen Seiten der Ruf nach einer Stärkung der zweiten und dritten Säule zu vernehmen, unter anderem vom Fachverband der Pensionskassen, dem Versicherungsverband VVO oder den Neos.² ³ ⁴

Oft wird in diesem Zusammenhang das Argument hervorgebracht, dass die staatlichen Pensionen angesichts des demographischen Wandels in Zukunft nicht genügend ausfinanziert sein werden und dass kapitalgedeckte Verfahren dabei eine Linderung bieten können, indem sie den Versicherten helfen, den Einkommensausfall zu kompensieren („die Pensionslücke schließen“). Diese Argumentation hakt jedoch an einem entscheidenden Punkt, nämlich dass realwirtschaftlich gesehen jedes Pensionssystem unweigerlich auf Umlage basiert.

Jemand, der Beiträge in ein kapitalgedecktes Versicherungsmodell einzahlt erwartet, dass sein oder ihr Geld gewinnbringend veranlagt wird und im Alter eine ausreichend hohe Rendite einbringt, um trotz Inflation und volkswirtschaftlicher Rezessionsphasen die Kosten des Alltags zu bewältigen. Der monetäre Anspruch aus der Privatversicherung muss ausreichend hoch sein, um trotz fehlenden eigenen Einkommens die Preise für reale Güter und Dienstleistungen wie Nahrung, Kleidung oder öffentlicher Verkehr begleichen zu können. All diese Dinge müssen aber von jeder arbeitenden Generation real erwirtschaftet werden und nur diese real erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen sind für die Pensionist_innen tatsächlich von Belang, nicht die in ihrem Versicherungsvertrag verbriefte monetäre Rendite. Sollte nun aufgrund des demographischen Wandels der Anteil der arbeitenden Bevölkerung in Relation zum Anteil der nicht-arbeitenden Bevölkerung sinken, wird der reale Kapitalstock in Relation zu der Menge an Personen, die aus ihm beziehen möchte, kleiner. Dieses Szenario wirft verschiedene Fragen auf: Steigen dann die Preise für Güter und Dienstleistungen? Steigen dann auch die Löhne jener, welche die Güter erwirtschaften? Welchen Anreiz hätten sie zu arbeiten, wenn sie sich nicht die Güter leisten können, die sie erwirtschaften? Werden zukünftige Generationen ihrerseits Beiträge an das Finanzinstitut zahlen und damit dessen Solvenz sicherstellen? Welchen realen Gegenwert hat der angesparte monetäre Kapitalstock der Versicherten?

Heiner Flassbeck stellt dabei prägnant fest: „Das heißt, die Papiere, die heute im sogenannten Kapitaldeckungsverfahren ausgestellt werden, garantieren nicht, dass es in dreißig Jahren einen physisch großen und wirtschaftlich effizienten Kapitalstock gibt. Gibt es ihn – aus welchen Gründen auch immer – nicht, gibt es auch keine Zinsen“.⁵ Seine Conclusio lautet: Volkswirtschaften können nicht sparen, sie müssen ihren physischen Kapitalstock Jahr für Jahr neu erarbeiten. Ob die erworbene Leistung aufgrund eines kapitalgedeckten Versicherungsmodells im Versicherungsfall genug realer Kaufkraft entspricht, ist damit nie garantiert. Verstärkt auf die zweite und dritte Säule zu setzen dezimiert daher nicht die Risiken des demographischen Wandels.

Diesem Standpunkt wird oft das Argument entgegengebracht, dass kapitalgedeckte Verfahren im Unterschied zum Umlageverfahren den entscheidenden Vorteil besitzen, den monetären Kapitalstock auch auf ausländischen Kapitalmärkten anlegen zu können. Dies wirkt angesichts der Finanzkrise und ihrer bis heute spürbaren Auswirkungen wenig vertrauenserweckend. Auch ist in Bezug zu der momentan fragilen Solidarität in der EU anzuzweifeln, ob tatsächlich zig europäische Pensionstöpfe auf den internationalen Märkten wetteifern sollten. Konkurrieren Pensionen auf Kapitaldeckungsbasis als globalisiertes Modell an den Kapitalmärkten muss es unweigerlich zu Verlierern kommen. Ob Altersvorsorge tatsächlich diesen Risiken unterworfen werden soll, ist daher dringend zu hinterfragen.

Ein Blick auf die Performance von Finanzprodukten zur privaten Vorsorge kann zwar immer nur eine Momentaufnahme liefern, verdeutlicht aber wahrscheinliche Risiken, die sich im Laufe der Vertragslaufzeit häufen können. Die AK Tirol stellt fest, dass bei Produkten der prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge vor allem aufgrund des anhaltend niedrigen Zinssatzes und den volatilen Aktienmärkten keine hohen Ertragserwartungen angebracht sind. ⁶ Auch den betrieblichen Pensionskassen wurde 2015 eine deutlich niedrigere Performance als in den Vorjahren bescheinigt.⁷ Wie bedrohlich es werden kann, wenn man zu sehr auf kapitalgedeckte Verfahren setzt, zeigt ein Blick in die USA. Die Pension Benefit Guaranty Corp.(PBGC), deren Aufgabe es ist, die Pensionsverbindlichkeiten von Unternehmen an ihre Mitarbeiter im Falle des Unternehmenskonkurses zu übernehmen, verzeichnet mittlerweile bereits ein Defizit von über 60 Milliarden US-Dollar.⁸ Der Kongress hat bereits vorgeschlagen, die Höhe der Beitragszahlungen der Mitarbeiter_innen über die nächsten drei Jahre um 22%  zu erhöhen.

Lohnt es sich daher, kapitalgedeckte Versicherungsmodelle zu unterstützen, indem sie mit staatlichen Prämien etc. gefördert werden? Sollte man es einfach versuchen und schauen, was passiert? Wie der deutsche Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel lapidar feststellte, könnte selbst bei einem Zusammenbruch der kapitalgedeckten Verfahren immer noch das Umlageverfahren reaktiviert werden, wodurch die Altersvorsorge sichergestellt wäre.⁹ Diese Argumentation wirkt jedoch zynisch in Anbetracht dessen, dass dies nur einen weiteren Fall darstellen würde, wo im Gewinnfall Private profitieren würden, während im Verlustfall die Allgemeinheit bezahlen müsste. In Ländern Europas, in denen man einen Schritt mehr Richtung kapitalgedeckter Verfahren machte als in Österreich, schaut die Bilanz ernüchternd aus: Die Riester-Rente in Deutschland steht unter starker Kritik.¹⁰ Eine aktuelle Studie des WSI sieht ein niedrigeres Leistungsniveau in Deutschland als in Österreich: „Ein knappes Drittel der Beschäftigten habe weder eine private noch eine betriebliche Zusatzpension – und wer eine hat, müsse sich mit enttäuschenden Renditen begnügen“.¹¹ In Ungarn und Polen musste man mittlerweile zurückrudern, nachdem in der Vergangenheit eine massive Privatisierung des Pensionssystems erfolgte.¹² ¹³

Angesichts des Umstands, dass realwirtschaftlich gesehen immer ein Umlageverfahren zur Anwendung kommt, lässt sich daher fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, dieses Verfahren weiterhin zu verbessern und es hinsichtlich der Herausforderungen der Zukunft zu stabilisieren, anstatt die Pensionszahlungen der Menschen starken Risiken auszusetzen. Denn wie Polen und Ungarn zeigen, kann es leicht passieren, dass am Ende sowieso wieder das Umlageverfahren wartet. Dabei gilt es in Erinnerung zu rufen: Jede Reform des Pensionssystems wird zum Schluss danach bewertet werden wie sehr es fähig ist, das Einkommen im Alter zu sichern und nicht allein danach, ob es kurzfristig zur Sanierung des Staatsbudgets beiträgt.

 

Quellen:

  • ¹vgl. Tálos Emmerich und Wiedermann Clemens: „Pensionsreform“ in Schwarz-Blau/Orange.                                                               http://www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/118_emmerich_talos_clemens_wiedermann.pdf (19.06.2016)
  • ²https://www.wko.at/Content.Node/iv/presse/wkoe_presse/presseaussendungen/pwk_385_15_Fachverband-der-Pensionskassen:-Andreas-Zakoste.html (19.06.2016)
  • ³http://www.tt.com/home/10834152-91/lebensversicherer-für-mehr-private-und-betriebliche-vorsorge.csp (15.06.2016)
  • ⁴http://derstandard.at/2000032337865/Pensionen-Neos-beschliessen-schwedisches-Modell (15.06.2016)
  • ⁵https://makroskop.eu/2014/12/angela-merkel-norbert-bluem-und-die-rente/ (15.06.2016)
  • ⁶https://tirol.arbeiterkammer.at/beratung/konsumentenschutz/Geld/Geldanlage/Produkte_zur_privaten_Pensionsvorsorge_entpuppen_sich_als_F.html (19.06.2016)
  • ⁷http://derstandard.at/2000032130811/Pensionskassen-2015-mit-deutlich-geringerer-Performance (19.06.2016)
  • ⁸http://www.chicagotribune.com/business/sns-201601281130–tms–kplngmpctnkm-a20160217-20160217-story.html (15.06.2016)
  • ⁹http://wirtschaftsdienst.eu/downloads/getfile.php?id=594 (15.06.2016)
  • ¹⁰http://www.focus.de/finanzen/altersvorsorge/appel-fuer-die-gesetzliche-rente-experten-ziehen-vernichtende-riesterrenten-bilanz_aid_819235.html (19.06.2016)
  • ¹¹http://derstandard.at/2000030998738/Studie-stellt-Oesterreichs-Pensionssystem-gutes-Zeugnis-aus (19.06.2016)
  • ¹²http://www.nachdenkseiten.de/?p=7785 (15.06.2016)
  • ¹³https://media.arbeiterkammer.at/PDF/Falter_Pensionen.pdf (15.06.2016)

 

Predrag Vujic ist Teilnehmer des 8. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Am Ende: Umlageverfahren“

  1. Avatar von Knut-Olf
    Knut-Olf

    Hat dies auf B R U D O L F B L O G rebloggt und kommentierte:
    Ein schöner Beitrag zum Thema Rente. Gefunden auf dem Blog der Wirtschafspolitischen Akademie Österreich.