Die Zustimmungswerte zur Europäischen Union sind im Keller.(1) Und das nicht ohne Grund. Die herrschende Elite Europas hat in der Krise – wenn auch nur zum Teil verschuldet – jedenfalls nichts aus ihr gelernt. Sie fährt eine überwiegend neoliberale Politik. Diese Politik wird natürlich nicht von einer abstrakten EU aufoktroyiert, sondern zu weiten Teilen von national gewählten Minister_innen und Regierungschef_innen(2) selbst beschlossen. Wirtschaftliche Integration voranzutreiben, ohne spürbare Verbesserungen für die Mehrzahl der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen, kann jedenfalls nicht Ziel progressiver Politik sein.
Die Wirtschaftsunion um eine Sozialunion erweitern
Notwendig wäre eine dringende Erweiterung um eine Sozialunion(3), letztendlich auch um Zustimmungswerte zum Europäischen Projekt zu verbessern und immer stärker werdenden Nationalisten Wind aus den Segeln zu nehmen. Bitter enttäuscht wurden viele Befürworter_innen einer Sozialen Dimension Europas(4) bei der Präsentation neuer Indikatoren zur Messung der sozialen Situation Anfang Oktober von EU Kommissar für Soziales László Andor(5) – galt doch gerade jener als Sprachrohr für eine soziale Integration Europas(6). Vorschläge zur Vertiefung der europäischen Sozialpolitik blieben weitgehend aus. Auch Pläne für eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung innerhalb der Eurozone wurden zwar erwähnt, aber gleichzeitig für derzeit nicht machbar dargestellt. Dabei hätte gerade eine europäische Arbeitslosenversicherung Potential als Steckenpferd einer Sozialunion zu fungieren.
Arbeitslosenversicherung als Steckenpferd
Immerhin wurde die Diskussion um eine eurozonenweite Arbeitslosenversicherung – bereits vor der Krise angestoßen(7) – gerade im letzten Jahr intensiver geführt. Die Grundlage für die vergangene Diskussion lieferte ein Paper von Sebastian Dullien im Auftrag der Europäischen Kommission . Trotzdem bleiben viele Punkte über die Ausgestaltung vage formuliert. Auch die Frage ob eine Europäische Arbeitslosenversicherung zusätzlich oder anstelle von national organisierten Systemen funktionieren sollte, bleibt weiterhin offen – sieht der bisherige Vorschlag nur die Unterstützung von krisenbedingten Arbeitslosen vor, um als makroökonomischer Stabilisator während Krisen mit kurzfristig hoher Arbeitslosigkeit wirken zu können. Dies könnte jedoch bestehende Arbeitslosenversicherungssysteme lediglich ergänzen. Vor einem aushöhlen funktionierender nationalstaatlich organisierter Systeme muss jedenfalls gewarnt werden.(9)
Ohne Machtwechsel kein Soziales Europa
Nichts desto trotz wäre der Schritt in Richtung einer Europäischen Sozialunion ein wichtiger und eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung (zumindest) innerhalb der Eurozone könnte Potential bieten, als Steckenpferd zu fungieren. Dass die neokonservativ dominierten Politiker_innen der europäischen Nationalstaaten nicht daran denken und stattdessen Kommissar Andors Spielraum auf die Präsentation lahmer Indikatoren zur Messung der sozialen Situation beschränken und als soziale Dimension für Europa verkaufen möchten, zeigt die akute Dringlichkeit eines Machtwechsels. Eines Machtwechsels der in Deutschland erst verspielt wurde, dessen nächste Gelegenheit sich bei den kommenden Europawahlen im Mai 2014 bieten wird. Die Umsetzung einer europäischen Arbeitslosenversicherung scheint unter den derzeit bestehenden Machtverhältnissen jedenfalls nicht möglich(9). Denn solange unter dem Deckmantel der europäischen Integration Deregulierung der Märkte und Privatisierung öffentlichen Eigentums betrieben wird, können Sonntagsreden noch so schön sein – die Zustimmung zu einem gemeinsamen Europa wird nicht steigen. Es braucht ein soziales Europa(10), oder es wird keines geben.
Verweise:
(1) Süddeutsche: Immer weniger Bürger vertrauen der EU
(2) Lediglich 4 von 27 Regierungsoberhäupter der EU sind Frauen (Dänemark, Deutschland, Slowenien, Litauen)
(3) A Social Dimension for the EMU: Why and How?
(4) Blog Arbeit Wirtschaft: Eine Soziale Dimension für die Wirtschafts- und Währungsunion
(5) EC Press Release: FAQ Strengthening the social dimension of the Economic and Monetary Union
(6) László Andor – Speech: Europeans want and deserve a monetary union with a human face
(7) Sebastian Dullien – Improving Economic Stability in Europe
(8) Johannes Schweighofer – An Unemployment Insurance System for the Euro Area as an Automatic Stabilizer: Feasable and Desireable?
(9) Sebastian Dullien – What happened to the idea of an European Unemployment Insurance?
(10) www.social-europe.eu
Lukas Lehner
studiert Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und organisiert den 6. Jahrgang der Wirtschaftspolitischen Akademie 2013/14.
Kommentare
2 Antworten zu „Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung für Europa“
Stimme dir vollkommen zu, dass wir mehr EU brauchen! Guter Blog Eintrag 🙂
Vor allem eine soziale Dimension für Europa – mehr EU, aber nicht um jeden Preis!