Mikrokredite kritisch hinterfragt

In ihren Arbeiten behandeln Katharine N. Rankin, Thorsten Nilges und Laxmi Murthy das Konzept der Mikrokredite aus einem etwas anderen Blickwinkel.

Mikrokredite, wie ursprünglich von Muhammad Yunus‘ Grameen Bank in Bangladesch eingeführt, sind ein heute weit verbreitetes Mittel der nachhaltigen Entwicklungspolitik. Sie werden besonders häufig an Frauen vergeben und nicht nur als Mittel zur wirtschaftlichen Emanzipation der Frauen, sondern auch als Beitrag zu ihrer sozialen und politischen Unabhängigkeit angepriesen.

Das von Rankin erklärte System funktioniert, indem Frauen Kredite auf der Basis von „sozialer Sicherheit“ bekommen. Sie schließen sich zu Kreditnehmergruppen zusammen, in welchen Sachkapital durch soziales Kapital (wie Vertrauen und Gegenseitigkeit) ersetzt wird. Die Rückzahlung wird dabei durch soziale Sanktionen und Gruppendruck gesichert. In sogenannten „Center Meetings“ treffen sich die Kreditnehmergruppen, um über die Rückzahlung übereinzukommen. Damit soll ein weiterer positiver Effekt, nämlich dass sich Frauen außerhalb ihrer Familie und ihrem nahen Umfeld treffen und an gemeinsamer Bewusstseinsbildung arbeiten, erreicht werden.

In der Realität sehe es aber, nach Meinung der genannten Autoren, anders aus. Sie nennen unter Anderem folgende Probleme:

Oft werde bei der Implementierung des Mikrokredit-Systems mehr auf die Bedürfnisse der Kreditgeber als auf nachhaltige Veränderung geachtet. Beim heute gängigen minimalistischen Ansatz gehe es rein um den monetären Aspekt der Armutsbekämpfung. So werde das Funktionieren des Finanzsystems zum Hauptziel.

Häufig seien es letztendlich doch wieder die Männer, die kontrollieren, wie das Geld investiert wird. Frauen würden das Geld in die Familie bringen, während sie allein für die Rückzahlung verantwortlich seien. Um die Rückzahlungspläne einzuhalten borgen sie sich Geld von lokalen Kreditgebern, was wiederum zu Abhängigkeit führe.

Außerdem stelle sich die Frage, warum nur Mikrokredite an Frauen vergeben würden. Angesichts der typischerweise höheren Rückzahlungsrate als bei Männern und der Schwierigkeit, das wenige Geld brauchbar zu verwenden, stünde dem Vergeben größerer Kredite nichts entgegen.

Überdies würden solche Kreditnehmergruppen dazu tendieren, homogen zu sein. Das verringere die Möglichkeit, Geschlechtersolidarität über soziale und kulturelle Grenzen (z.B. Stammesgrenzen) hinweg aufzubauen.

Von allen Autoren vertreten wird auch die Ansicht, dass Staaten mit dem System der Mikrokredite ihre Entwicklungs- und Wohlfahrtsaufgaben in den privaten Sektor verlagern. So würden zum Beispiel Subventionen (als Recht) durch Mikrokredite (als Verpflichtung) ersetzt.

Übereinstimmend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass durch Mikrokredite nicht die angepriesenen Effekte der nachhaltigen Entwicklung erreicht werden. Es brauche viel mehr zusätzlich kollektive Bewusstseinsbildung bei den Betroffenen, damit sie die Unterdrückung und Missstände offen bekämpfen können. Oder wie Murthy meint: „Micro lending cannot change macro structures.“

Quellen:

Thorsten Nilges: Zunehmende Verschuldung durch Mikrokredite: Auswertung eines Experiments in Südindien
Laxmi Murthy: Women’s empowerment or a debt trap?
Katharine N. Rankin: Social Capital, Microfinance, and the Politics of Development

Gloria Kinsperger
ist Teilnehmerin des 6. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie 2013/14.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Mikrokredite kritisch hinterfragt“

  1. Avatar von Katrin

    Insofern sollte man sich immer die Zeit nehmen und die Kreditmöglichkeiten vergleichen, denn nur auf diese Weise kann man tatsächlch feststellen, welchen Kredit man am Ende in Anspruch nehmen kann. Dieser Artikel ist dabei eine sehr große Hilfe und zeigt auf, dass sich so mancher Kredit definitiv nicht lohnt.