Die soziale Reproduktion: eine Bedingung unseres Wirtschaftssystems mit einem untergeordneten Stellenwert?

In meinem Blogbeitrag möchte ich eine kleine Selektion der theoretischen Perspektiven von Nancy Fraser, einer feministischen Ökonomin, aufgreifen, um anschließend kurz die hierdurch aufgezeigte Thematik im Bezug auf die soziale Reproduktion zu diskutieren. Grundsätzlich kann für Fraser Kapitalismus nicht auf ein ökonomisches System reduziert werden, vielmehr handelt es sich hierbei um eine bestimmte Gesellschaftsform – die kapitalistische Gesellschaft, deren Hauptaugenmerk per Definition auf die Wirtschaft gerichtet ist. Fraser diskutiert in diesem Zusammenhang nicht jene Bedingung und Institutionen für das Funktionieren dieses kapitalistischen Systems, welche weitläufig bekannt sind wie etwa Märkte, Privateigentum oder ein funktionierendes Rechtssystems, sondern jene, welche im Hintergrund ablaufen und regelmäßig übersehen werden. Zu allererst betont sie die institutionelle Trennung der sozialen Reproduktion von der klassischen Produktion innerhalb der Struktur unseres Wirtschaftssystems.

Unter dem Begriff soziale Reproduktion fasst sie beispielsweise Schulen, Kindererziehung oder den Haushalt zusammen. Kurz gesagt versteht sie darunter all jene Bereiche, weitgehend außerhalb der Marktes, welche für das Funktionieren des Systems eine unabdingbare Notwendigkeit darstellen. Die damit verbundene Arbeit ist vielfach unbezahlt und wird in den meisten Gesellschaften dieser Welt dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Darüber hinaus zeigt sie eine institutionelle Trennung der menschlichen von der nicht-menschlichen Natur auf. Diese scharfe Trennung zwischen ökologischen und ökonomischen Bereich spiegelt die Entfremdung des modernen Menschen von der Natur wider und untermauert die sich ausdehnende Zerstörung unseres natürlichen Lebensraums. Diese Bedingung ermöglicht ein „free riding“ der Wirtschaft auf Kosten der Umwelt.

Wesentlich für diese Perspektive unseres Wirtschaftssystems ist, dass die Aspekte der sozialen Reproduktion unserer Gesellschaft und der Natur zentraler Bestandteil sind und nicht – wie häufig angenommen – aus wirtschaftspolitischen Ansätzen ausgeklammert werden können. Was uns die theoretische Perspektive von Nancy Fraser weiters aufzeigt, ist, dass unsere kapitalistische Gesellschaft dazu tendiert die soziale Reproduktion in ihrer Bedeutung zu untergraben. Außerdem schafft sie ein Bewusstsein dafür, wie tief Geschlechterdiskriminierung in unser System einprogrammiert ist und wie essentiell umfassende Reformen daher sind. Bei der Bekämpfung der systematischen Diskriminierung der Frau gilt es darauf Bedacht zu nehmen, diese institutionelle Trennung nicht ungewollt zu reproduzieren. Das Ziel ist einen ganzheitlichen politischen Ansatz zu schaffen, bei dem soziale Aspekte im Vordergrund stehen, unter der Berücksichtigung der Grenzen der Natur. Das im Moment vorherrschende endlose Gewinnstreben führt jedoch zu einer fortschreitenden Aushöhlung der sozialen Bereiche unserer Gesellschaft.

In meinen Augen stellt dies eine sehr interessante Perspektive dar, die in jeder Diskussion von Geschlechtergleichheit als Gedankenanstoß nicht fehlen sollten.

Jakob Haushofer
ist Teilnehmer des 6. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie 2013/14.


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