Mit der Sozialen Dimension steht und fällt die sozial-ökologische Transformation.
Ein Interview mit Michael Soder, Ökonom und Referent für Energiepolitik der Arbeiterkammer Wien und Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien, zur Rolle der Gewerkschaft in Zeiten des Klimawandels. Interviewt von Philipp Rohringer.
Zum Einstieg, wie ist die Arbeiter*innenbewegung in Österreich organisiert und strukturiert? Konkret wäre der Unterschied Arbeiterkammer und ÖGB interessant.
Michael Soder: Das Ganze ist historisch gewachsen und ein österreichisches Spezifikum. Die Arbeiterkammer ist die gesetzliche Interessensvertretung aller unselbstständigen Beschäftigten, inklusive Zivildiener, Personen in Karenz und Arbeitslosen. Im Gegensatz dazu sind die Gewerkschaften unter dem Dach des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) ein freiwilliger Verein, welcher auf betrieblicher und Branchenebene die Interessensvertretung der Arbeitnehmer*innen organsiert. Zwischen der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften gibt es eine Aufteilung der Aufgaben. Während die AK als Expert*innenorganisation Grundsatzarbeitet leistet, die Vertretung gegenüber dem Staat ausübt, Gesetzesbegutachtungen durchführt, Arbeitnehmer*innen in Fragen des Arbeits-, Sozial- und Wohnrechts berät, sind die Gewerkschaften Ansprechpartner*innen auf betrieblicher Ebene. Sie erfüllen das Mandat zur kollektivvertraglichen Lohnverhandlung und sind Verhandlungspartner*innen gegenüber den Arbeitgeber*innen. Gemeinsam bilden sie die Interessensvertretung der Arbeitnehmer*innen in Österreich. Ihnen gegenüber steht die Wirtschaftskammer und die Landwirtschaftskammer. Gegen die oft landläufige Meinung ist die Industriellenvereinigung nicht offizieller Teil der Sozialpartnerschaft und nur die drei Kammern mit dem ÖGB bilden zusammen die österreichische Sozialpartnerschaft.
Nun ist die Gewerkschaftsbewegung mit großen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen kommen mit der Digitalisierung weitläufige Veränderungen auf sie zu. Zudem ist die anhaltende Austeritätspolitik, die prekären Beschäftigungen fördert, immer noch präsent. Und zu Letzt kommt auch noch die drohende Klimakatastrophe auf die Liste. Vor allem bei letzterer kommt es immer wieder zu widersprüchlichen Positionen von Seiten der Gewerkschaft. Wie am Beispiel Hambacher Forst sichtbar wird, wo die Gewerkschaft der Kohlearbeiter*innen für den Abbau an Seite des Großkonzerns RWE aufmarschiert ist. Ist es nicht total widersprüchlich für eine Gewerkschaft an Jobs festzuhalten, die eher früher als später keine Zukunft haben werden?
MS: Nein überhaupt nicht. Was ist die Aufgabe der Gewerkschaft? Die Aufgabe der Gewerkschaft – vor allem auf betrieblicher Ebene oder auf Branchenebene wo diese Konflikte oft zu Tage treten – ist die Interessensvertretung ihrer Mitglieder*innen. Ein Betriebsrat oder eine Betriebsrätin vertritt daher naturgemäß die unmittelbaren Interessen der Beschäftigten im Betrieb. Im konkreten Fall sind die naheliegenden und verständlichen Interessen der Beschäftigten natürlich ein stabiler Arbeitsplatz, gute Arbeitsbedingungen und dass ihre Interessen Gehör im Betrieb finden. Daraus können natürlich auch Konflikte – wie der genannte – insbesondere in der Betrachtung der Makroebene erwachsen. Der Vorwurf an die örtliche Interessensvertretung bezüglich potenzieller Konflikte greift deshalb auch zu kurz, da sie ihre ureigenste Aufgabe der unmittelbaren Interessenvertretung erfüllt. Dementsprechend muss in einem solchen Fall wirtschaftspolitisch auf der Branchen-, nationalen oder internationalen Ebene angesetzt werden. Wenn man davon ausgeht, dass eine Branche oder Teilbereiche nicht mehr aufrecht zu erhalten sind, müsste man den Betroffenen auch eine Alternative bieten. Wenn man ihnen keine Alternative bietet, ist es für sie schwer nach Lösungen zu suchen. Daraus ergibt sich ein gewisses Konfliktpotenzial. Dazu müssen wir gar nicht nach Deutschland schauen, sondern auch in Österreich gibt es diese Konflikte, wie am Beispiel Hainburg oder Zwentendorf ersichtlich wurde. Aktuell sieht man dies auch an der Positionierung im Bezug auf Kohleverstromung und Förderung etwa in Polen oder Deutschland. Wenn an einem Industriezweig nicht nur ein Unternehmen mit seinen Beschäftigten und Familien hängt, sondern auch wirtschaftlich ganze Regionen, dann braucht es ein Konzept oder einen Plan, wie mit größeren strukturellen Veränderungen umgegangen werden soll. Hier braucht es eindeutig Konzepte, die diese Herausforderungen aktiv angehen und adressieren, sonst droht auch Widerstand gegen den aus Sicht der Klimapolitik notwendigen Strukturwandel. Und schlussendlich kann es sein, dass die Klima- und Energiepolitik daran scheitert.
Das ist auch ein Vorwurf an die Klimapolitik, den man meiner Meinung nach sehr wohl vorbringen kann. Hier ist man vor allem bezüglich der sozialen Dimension der Maßnahmen in der Diskussion oft blind. Es wird immer nur die technologische Seite: „Was ist möglich?“ und die ökologische Seite“ Was ist notwendig?“ gesehen, aber die soziale Frage, die mit einem immensen immanenten Strukturwechseln einhergeht, wird ausgeblendet oder kaum thematisiert und das erzeugt dann die Probleme. Man sieht das auch gut in Frankreich am Beispiel der Gelbwesten. Auch wenn sie viel weitreichende politische Forderungen haben, war die Erhöhung der Treibstoffsteuer Auslöser der Proteste. Wenn die soziale Dimension im klima- und energiepolitischen Diskurs nicht mitgedacht wird und etwaige Maßnahmen dann verteilungspolitisch negativ wirken, ist klar, dass da ein Protest auftritt. Und deswegen liegt meiner Meinung nach die schwierige Aufgabe darin, diese drei Dimensionen – die technologische, ökologische und soziale – immer zusammen zu denken. Das ist nicht trivial und wird meiner Meinung nach viel zu wenig gemacht. Man hat immer den Techniker, der sagt, was möglich ist und die Umwelt-NGOs, die natürlich den ökologischen Fokus setzen. Die Rolle der Gewerkschaft und der Arbeiterkammern ist es, die soziale Dimension ins Zentrum der Debatte zu rücken.
Abgesehen von der Interessensvertretung und davon die soziale Frage in den Diskurs einfließen zu lassen, gibt es dazu bereits etwas Konkretes in Form von Alternativvorschlägen und Forderungen von Gewerkschaftsseite?
MS: Es gibt beispielsweise von einigen Gewerkschaften Passagen in den Grundsatzprogrammen, wo genau diese Elemente einer sozial-gerechten Transformation aufgegriffen werden. Wie sich diese realpolitisch auswirkt ist eine andere Frage, aber in Grundsatzbeschlüssen ist das festgehalten und sie beschäftigen sich auch damit.
Es wird immer wieder von Eigen- vs. Gesellschaftsinteressen gesprochen, wie schon vorher beim Hambacher Forst gesehen, was vor allem von zivilgesellschaftlichen Bewegungen immer wieder kritisiert wird. Wie kann man sich untereinander besser vernetzen und wie kann man sich zwischen gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Interessen besser abstimmen?
MS: Aber Gewerkschaftsinteressen sind doch auch Gesellschaftsinteressen!
Ist Forderung nach Kohleabbau wirklich ein gesellschaftliches Interesse?
MS: Es gibt in einer Volkswirtschaft unterschiedliche Interessensgruppierungen und unterschiedliche Interessenlagen, die natürlich auch im Konflikt zueinander stehen können. Auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung gibt es unterschiedliche Interessen. Der Facharbeiter in der VOEST hat möglicherweise ein anderes Interesse als eine Reinigungskraft bezüglich Arbeitsbedingungen, Lohnerhöhungen etc. Hier eine Klammer zu schaffen in einer Gesellschaft, die sich auf Grund der Individualisierung immer weiter ausdifferenziert, ist oft schwierig. Aber die Gewerkschaften und Arbeitnehmer*inneninteressensvertretungen leisten hierin sehr gute Arbeit. Das sollte man nicht unterschätzen oder versuchen kleinzureden. Auch die oft herbeibeschworenen großen Konflikte der Interessen zwischen Zivilgesellschaft und Gewerkschaften gibt es, denke ich, in der Form nicht. Natürlich gibt es Unterschiede im Fokus und in der alltäglichen Interessensarbeit, aber es gibt auch unzählige Beispiele guter Zusammenarbeit und des befruchtenden Austausches, wie zum Beispiel die Plattform „Wege aus der Krise“, in welcher Gewerkschaften, Umwelt-NGOs und zivilgesellschaftliche Bewegungen eng zusammenarbeiten. Und es gibt auch auf den ersten Blick unüblichere Allianzen, wie zum Beispiel bei der Frage des neuen Arbeitszeitgesetzes, bei der die Kirche, NGOs und die Gewerkschaften mit all ihren Unterschieden auf derselben Seite stehen.
Wenn du dir etwas wünschen könntest, welche Maßnahme wäre deiner Meinung nach von Seiten der Zivilgesellschaft und Gewerkschaft notwendig, damit die Synergien besser genutzt werden können?
Das ist eine ganz einfache Frage (lacht). Was auf jeden Fall wünschenswert ist, ist dass man den Austausch forciert, auch bei unüblichen Allianzen und bei thematischen Schwerpunkten. Dann glaube ich, dass es immens wichtig ist, gerade in der Umweltpolitik die soziale Dimension verstärkt zu thematisieren. Wenn die soziale Dimension nicht mitbedacht wird oder sich mit unbedachten Maßnahmen Verteilungsfragen sogar noch verschärfen, wird die Klima- und Energiepolitik und damit auch die sozial-ökologische Transformation scheitern. Das sieht man am Beispiel Frankreich sehr schön. Es ist nicht abzuwenden, dass höhere Treibstoffsteuern bei fossilen Energieträgern als Lenkungsinstrument sinnvoll sein können, aber es braucht dann immer auch eine Form eines sozialen Ausgleichs für jene Personengruppen, die sich die Mobilität nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt leisten können. Die soziale Dimension muss deshalb im Diskurs über die Klima- und Energiepolitik stärker betont werden. Am Ende des Tages wird es nämlich genau auf diese Frage ankommen, ob eine sozial-ökologische Transformation scheitert oder nicht.
Philipp Rohringer ist Teilnehmer des 11. Jahrgangs der Wirtschaftspolitischen Akademie.